Den Text der Silvesterpredigt finden Sie in unserem Buch "Der rheinische Kardinal"
Von Quirinus C. Greiwe
Die berühmte Silvesterpredigt von Josef Kardinal Frings gehört noch heute zum festen Erinnerungsschatz der Nachkriegsgeneration und begründet die anhaltende Popularität des Kölner Erzbischofs und Neusser Ehrenbürgers. Bis heute ist jedoch weitgehend unbekannt, dass die britischen Besatzungsbehörden scharf auf den Frings-Vorstoß reagierten. Es entbrannte ein Konflikt, der teilweise dramatische Züge annahm. Die Offiziere erwogen sogar, den Kölner Kardinal mittels Militärpolizei zwangsweise vorzuführen. Beobachter fürchteten schon einen Volksaufstand im katholischen Rheinland.
Der Winter 1946/47 gehörte zu den strengsten des 20. Jahrhunderts. Wochenlang hielten sich die Minusgrade, so dass in einigen Teilen Deutschlands sogar Tote zu beklagen waren. Die Versorgungslage war katastrophal. Schon früh hatten deutsche Bischöfe auf die Situation hingewiesen, ohne sich Gehör verschaffen zu können. In seiner Silvesterpredigt nun sagte Kardinal Frings zum lebensbedrohlichen Mangel an Heizmaterialien: „Wir leben in Zeiten, da in der Not auch der einzelne das wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat, wenn er es auf andere Weise, durch seine Arbeit oder durch Bitten nicht erlangen kann."
Frings in seinen Memoiren dazu: „Dieser Satz hat noch ein langes Nachspiel gehabt. Es gab eine höchstnotpeinliche Untersuchung." Die breite Öffentlichkeit, und auch die alliierten Besatzungsbehörden, erfuhren durch Presseberichte von der Predigt. Frings-Biograph Professor Norbert Trippen berichtet ausführlich von den aufgeregten Reaktionen: „Dieser Artikel und die in den ersten Januartagen 1947 sprunghaft ansteigenden Plünderungen der Kohlenzüge ließen den Zivilgouverneur von Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf aktiv werden."
Die Briten forderten einen Widerruf des Kardinals. Dieser blieb aber im Grundsatz fest: „Ich selbst würde mir von den Waggons die Briketts holen, wenn ich kein Heizmittel hätte." Ganz offen machte Frings die Besatzungsbehörden für den Mangel verantwortlich. „Nach meiner Überzeugung geschieht es, um das Volk zu strafen." Die Briten stellten dem Kardinal ein Ultimatum und zitierten ihn nach Düsseldorf. Tatsächlich machte sich Frings in die Landeshauptstadt auf. Da sich der zuständige Offizier jedoch um zehn Minuten verspätete, zog der gebürtige Neusser entrüstet wieder ab. Frings meinte damals zu seinem Chauffeur: „Jetzt schleunigst weg, es konnte gar nicht besser gehen."
Jetzt aber fühlten sich die Briten brüskiert und überlegten, wie sie den störrischen Kirchenfürsten bändigen konnten. Sie wollten ihn klarmachen, dass er sich öffentlich gegen das „Fringsen", wie der Kohlenklau nun im Volksmund hieß, aussprechen müsse. Man überlegte sogar, ihn durch die Militärpolizei zwangsweise nach Düsseldorf zu schaffen. Davor jedoch warnte der zuständige britische Verbindungsoffizier für die Kirchen: „Aber die Nachricht davon würde sich im katholischen Rheinland wie ein Prärie-Feuer verbreiten, und die Besatzungsmächte würden sich sofort in einen bitteren Kulturkampf verwickelt sehen." Nicht einmal die Nazis hätten es gewagt, in dieser Art gegen aufmüpfige Bischöfe vorzugehen, um das katholische Volk nicht zu provozieren.
Die Briten lenkten schließlich ein. Der Offizier, der den Kardinal hatte warten lassen, entschuldigte sich schriftlich in Köln. Die Situation beruhigte sich in der Folge, wenn auch die Beziehungen zwischen Frings und den Besatzungsbehörden kühl blieb. Der Kardinal setzte aber seinen Einsatz für das notleidende Volk fort.
Im Historischen Archiv des Erzbistums Köln existiert die handschriftliche Vorlage der Predigt.