Liebe Besucherinnen und Besucher,
wenn in der Silvesternacht die Glocken von den Kirchtürmen das neue Jahr einläuten, wollen sie die Menschen daran erinnern, dass die Zeit in ständigem Wandel begriffen ist. Der Klang der Glocken markiert das Ende des alten Jahres und den Beginn des neuen Jahres. Es ist eine Zeit des Umbruchs, des Abschieds und zugleich des Neubeginns. So wie wir das alte Jahr verabschieden, blicken wir mit Hoffnung und Erwartung auf das, was kommt.
In diesem Kontext möchte ich an eine der bedeutendsten Silvesteransprachen erinnern, die je gehalten wurden – die Silvesterpredigt von Kardinal Josef Frings im Jahr 1946. Es war eine Zeit härtester Entbehrungen und Zerstörung und eine der kältesten Winter. Kardinal Frings erlaubte den Menschen, in Notsituationen zu stehlen. "Wir leben in Zeiten, da in der Not auch der Einzelne das wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat, wenn er es auf andere Weise, durch seine Arbeit oder durch Bitten, nicht erlangen kann." Mit dieser Predigt handelt sich der Kardinal den Ärger der britischen Besatzungsbehörde ein. Was der Kölner Erzbischof allerdings nicht erahnte, war, dass ein neues Wort geboren war: "fringsen" - stehlen aus blanker Not.
Viele Menschen hatten durch die schrecklichen Verwüstungen, die der Zweite Weltkrieg angerichtet hatte, alles verloren - geblieben war nur das eigene Leben. Sie wurden zu Flüchtlingen, sie ließen den blanken Horror hinter sich. Wahrscheinlich wissen nur Zeitzeugen, was sie durchmachen mussten. Was sich damals in ganz Deutschland ereignete, wiederholt sich heute auf schreckliche Weise im Nahen Osten und in der Ukraine.
Die Überlebenden nach dem Weltkrieg standen vor einer unglaublichen, fast unlösbar erscheinenden Aufgabe. Voller Dankbarkeit blicken wir deshalb auf jene Frauen und Männer der ersten Stunde zurück, die in einer Zeit tiefster Not entschlossen den Blick nach vorne richteten. Nach Jahren der Diktatur und des Vernichtungskrieges bauten sie neue Städte und Dörfer, bauten unser Land wieder auf. Sie schufen ein neues Deutschland. Sie gaben dem Land eine stabile Basis für Freiheit und Frieden, Demokratie und Wohlstand.
Unsere Geschichte, die von Höhen und Tiefen geprägt ist, lehrt uns, dass aus den schwierigsten Zeiten oft die größten Möglichkeiten erwachsen. Doch der Blick auf die Vergangenheit allein reicht nicht. Wir müssen uns auch der Gegenwart stellen. Die Gegenwart ist die Zeit, in der wir leben, in der wir handeln, in der wir Verantwortung übernehmen. Wir dürfen nicht in der Vergangenheit verweilen, sondern müssen die Chancen ergreifen, die uns der Moment bietet. Jede Entscheidung, die wir heute treffen, formt die Welt von morgen. Ob in unserem persönlichen Leben oder im kirchlichen – unser Handeln zählt. Jeder noch so kleine Beitrag zählt, um die Welt von morgen zu einem besseren Ort zu machen.
Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes neues Jahr, voller Zuversicht, Hoffnung und Liebe.
Ihr
Bernd Ramakers
Präsident
Neuss, an Silvester 2024