23. Februar 2006.
Von Carsten Greiwe

 

Keine zwei Stunden dauert heute ein Flug vom Konrad-Adenauer-Flughafen Köln/Bonn nach Rom. Wer früh morgens in die Maschine steigt, der kann sein zweites Frühstück schon am Tiber einnehmen. Vor 60 Jahren war alles etwas anders. Neun Tage brauchte Dr. Josef Frings, Erzbischof von Köln, als er im Winter 1946 von der Domstadt nach Rom gelangen wollte. Neun aufreibende Tage in alten klapprigen Autos und überfüllten Zügen, ohne Geld und vielfach hungrig.

 

Dabei war der Anlass der Reise ein durchaus freudiger: Papst Pius XII. hatte den Kölner Erzbischof zum Kardinal erhoben. Nun wollte Frings die neue Würde auch entgegennehmen. Mit ihm hatte der Papst 31 weitere Bischöfe mit dem Purpur ausgezeichnet, die größte Kardinalsernennung in der Geschichte der römischen Kirche. Der Krieg hatte lange Zeit eine Auffrischung des Kardinalskollegiums verhindert. Während die Ernennung von Frings kaum überraschen konnte, erregten zwei weitere neue deutsche Kardinäle international große Aufmerksamkeit. Die Bischöfe von Münster und Berlin, Clemens August Graf von Galen und Konrad Graf Preysing, waren im Gegensatz zu Frings keine Metropoliten eines alt-ehrwürdigen Bischofssitzes, mit dem die Kardinalswürde gleichsam natürlicherweise verbunden war. Sie wurden für ihren Kampf gegen die Nationalsozialisten und für die Freiheit der Kirche persönlich ausgezeichnet.

 

Bischof Preysing kam mit einem amerikanischen Flugzeug nach Paris und von dort aus mit der Bahn recht unproblematisch in die Ewige Stadt. Frings und Galen hatten weniger Glück. Sie wohnten in der britischen Besatzungszone. Die Engländer aber schienen wenig begeistert zu sein, dass die beiden kirchlichen Würdenträger eine so bedeutende Rangerhöhung erfuhren. Schon als Bischöfe hatten sie ihren Einfluss als Fürsprecher des Volkes geltend gemacht. Sie nutzten dabei ihre protokollarische Stellung und traten durchaus selbstbewusst auf, womit die königlichen Offiziere nicht immer gut umgehen konnten, was sie aber wohl oder übel respektieren mussten. Als Kardinäle der heiligen römischen Kirche würden sie wohl noch offensiver werden.

 

So ließen sich die Besatzungsbehörden Zeit, bis Frings endlich erfuhr, wann es endlich losgehen sollte. Die Feierlichkeiten in Rom waren für den 18. Februar angesetzt. Frings brach mit seinem Generalvikar Emmerich David und seinem Sekretär Dr. Robert Hürtgen am 6. Februar nach Münster auf. Von dort aus sollte es gemeinsam mit Bischof Galen per englischem Flugzeug nach Rom gehen. Später erinnerte sich Frings an die Reise: „Als wir auf dem Flughafen ankamen, stand eine kleine Maschine da, und Galen sagte: ,Die ist gerade groß genug zu einem Sarg für mich'" Frings beschrieb den Grafen als einen „Riesen von zwei Metern und vier Zentnern. Doch das Wagnis eines Fluges wurde den Geistlichen erspart, weil Unwetter über Österreich den Start in Münster verhinderten. Also ging es mit dem Auto weiter.

 

Mehrfach blieb der alte, klapprige Wagen des Kölner Erzbischofs im Morast stecken. Tagelang hatte es ergiebig geregnet. Schließlich streikte der englische Fahrer, weil er seine Ruhepause einhalten müsse. Als die Reise in Karlsruhe wieder stockte, platzte dem gebürtigen Neusser Frings schließlich der Kragen. „Herr General", sagte er zu seinem britischen Begleiter, „ich kann leben, ohne Kardinal zu sein. Ich bitte Sie, bringen Sie mich nach Köln zurück." Das schien den Offizier herauszufordern. Plötzlich klappte alles besser. Die nächsten Stationen - Paris, Mailand, Rom - waren schneller erreicht.

 

In der französischen Hauptstadt trafen die Bischöfe mit dem römischen Nuntius Angello Giuseppe Roncalli - dem späteren Papst Johannes XXIII.- zusammen, der sie zu einem Abendessen einlud. Dabei kam Frings neben dem Erzbischof von Paris, Emmanuele Célestine Kardinal Suhard, zu sitzen, der den Deutschen sogleich freundlich begrüßte: „Nous sommes frères!" („Wir sind Brüder!"). In Mailand waren Frings und von Galen Gäste des dortigen Erzbischofs Alfredo Kardinal Schuster. „Schuster nahm uns mit großer Höflichkeit auf, aber auch mit großer Zurückhaltung", erinnerte sich Frings später. Der Krieg war eben noch kein Jahr vorüber.

 

Nicht jeder Würdenträger der römischen Weltkirche hatte eine so freundliche Haltung den Deutschen gegenüber wie Papst Pius XII. Über zehn Jahre war er als Nunitius in Deutschland gewesen und hatte die Deutschen schätzen gelernt. Jetzt - nach dem verlorenen Krieg - gehörte der Papst zu den größten Freunden des geschlagenen Volkes. Die Erhebung dreier Deutscher so kurz nach dem Krieg in den Kardinalsstand wurde als Zeichen der Versöhnung betrachtet. Auch wandte sich der Heilige Vater damit gegen die allgemein verfochtene These der „Kollektivschuld aller Deutschen" an Krieg, Gewaltherrschaft und Holocaust.

 

In seiner Dankansprache führte Kardinal Frings in Rom denn auch aus: „Ich gehöre zu einer Nation, der man vorwarf, in den vergangenen Jahren fast die ganze Welt in unerhörtes Elend gestürzt zu haben. Nichtsdestoweniger hat die Huld des Heiligen Vaters drei deutsche Bischöfe zum heiligen Purpur erhoben." Der gemeinsame Vater der Völker kenne seine Söhne, so Frings weiter. Er wisse gut, dass die deutschen Bischöfe niemals ihre Zustimmung gaben zu den ungesunden Lehren und den verhängnisvollen Bestrebungen der Regierenden. „Er weiß es gut, dass die Bischöfe mit vielen ihrer Landsleute diese verderblichen Lehren mit aller Kraft bekämpft haben." Pius XII. habe gezeigt, dass sein Herz für alle Völker und Nationen schlage. „Er will nicht den Untergang eines ganzen Volkes, sondern sein Leben."

 

Der Papst ergriff für die Deutschen ausdrücklich Partei und ging dabei auf die aktuelle Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten des Reiches ein. Darüber berichtet Professor Norbert Trippen in seiner Frings-Biographie: „Bei dem halböffentlichen Konsistorium am 20. Februar, bei dem den neuernannten Kardinälen die Insignien ihrer Würde überreicht wurden, fand Pius XII. selbst Worte, die als eine - wenn auch versteckte - Parteinahme für Deutschland gedeutet wurden. Er sprach von der ,Vertreibung aus dem Vaterlande', von ;Deportationen, mit denen die öffentlichen Machthaber und eine rohe Gewalt der Ereignisse die Völker aus ihren Ländern und ihren Heimen reißen'. ‚Diese verderbliche Art von Umsiedlungen der Menschen ist leider heute sehr geläufig geworden, aber auch sie in ihren alten und neuen Formen steht in vielfacher Art direkt oder indirekt in Verbindung mit den imperialistischen Tendenzen der Zeit'.

 

Frings nutzte die internationale Bühne in Rom, um für die notleidenden Deutsche einzutreten. Die amerikanischen Kardinäle ermöglichten ihm, einen Aufruf an die Katholiken in den USA zu richten und für Hilfslieferungen zu werben. Er besuchte aber auch - gemeinsam mit den Bischöfen von Wien, Münster und Berlin - die deutschen Kriegsgefangenen in den alliierten Lagern in Italien.

 

Der Empfang des Erzbischofs in Köln wurde zu einem Triumphzug. Mehr als 50.000 Gläubige empfingen den neuen Kardinal in der Domstadt. Vor der zerstörten Kathedrale hielt auch Oberpräsident Dr. Robert Lehr als damals höchster staatlicher Repräsentant der Deutschen im Rheinland eine Begrüßungsansprache: „Dass dies in einer Zeit geschehen konnte, zu der wir sonst in allen Bereichen noch völlig von der Welt abgeschnitten und ganz außerstande sind, unsere Stimme vor der Öffentlichkeit der Welt zu erheben ist für uns alle unendlich tröstend. Es erscheint mir von tiefer symbolischer Bedeutung zu sein, dass die erste freie Verbindung mit der übrigen Welt gerade im Bereich des Geistigen und Religiösen erfolgt ist."